Von Tatjana Trnka

„Je mehr Sprachen du sprichst, desto wertvoller bist du und umso mehr Menschen und Kulturen verstehst du.“

Als ich zehn Jahre alt war, wollte ich von meinem Vater wissen, welchen Beruf ich als Erwachsene ergreifen soll. Ich kann mich noch gut erinnern, welche Straße wir in meinem Geburtsort entlang spazieren gegangen sind und geplaudert haben. Daraufhin zitierte er meinen Großvater: „Je mehr Sprachen du sprichst, desto wertvoller bist du und umso mehr Menschen und Kulturen verstehst du.“

Und so habe ich schon als kleines Mädchen begriffen, dass die Kenntnis einer anderen Sprache die Unabhängigkeit in der Kommunikation und somit eine gewisse Art von Freiheit schafft. Der Gedanke mit Menschen aus anderen Kulturen direkt kommunizieren zu können, hat mir sehr gut gefallen. Dieses Zitat von meinem Großvater wurde zu meinem Lebensmotto und die Leidenschaft für Sprachen und Kulturen zog sich wie ein roter Faden durch mein privates und berufliches Leben.

Verbale Kommunikation

Verbale Kommunikation – eine Kuriosität der menschlichen Rasse. Unersetzliche Muttersprache, spannende Fremdsprachen, anziehende exotische Sprachen… Slawische Sprachen, germanische Sprachen, romanische Sprachen… Leichte Sprachen, melodische Sprachen, schwierige Sprachen… Das Phänomen Sprache fasziniert mich ständig.

Manchmal frage ich mich, wie würde die Welt aussehen, wenn alle Menschen nur eine einzige Sprache sprechen würden? Würden sie sich besser verstehen oder doch nicht? Wäre es für uns alle langweiliger oder einfach leichter? Wie würden sich unsere Gehirne, Charaktere, Beziehungen und Kulturen entwickeln? Letztendlich, wie oder warum ist es überhaupt zur Entwicklung unterschiedlicher Sprachen gekommen?

Vielfalt macht unsere Welt erst weise

Ich glaube, dass jede Art von Vielfalt genau das ist, was unsere Welt schön und weise macht. Die Vielfalt fördert Entwicklung und Fortschritt. Entwicklung des Denkens – Entwicklung der Sprache – Entwicklung der Welt. Man sagt, dass alles, was um uns herum existiert, ursprünglich ein Gedanke war. Gedanken, Gefühle und Sprachen „tanzen“ zusammen. Sie ergänzen sich, entwickeln sich gegenseitig, und so gemeinsam beeinflussen sie sowohl unseren Geist und unsere Seele als auch unseren Körper und unser ganzes Leben.

Eigene Sprache zu pflegen, bedeutet sich selbst zu pflegen. Fremdsprachen zu lernen, bedeutet fit zu bleiben.

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass jede neue Sprache, die wir lernen, unser Gedächtnis vertieft und stärkt. Unsere Lernpotentiale und Methoden mögen unterschiedlich sein, aber die Wirkung ist immer positiv. Auch wenn man sich als zweisprachig betrachtet, gibt es immer einen kleinen Unterschied, der Vorrang einer Sprache gibt. Und genau diese Sprache gibt unserer Seele ihre besondere Melodie.

Sprache, die wir im Mutterleib lernen, prägt uns für immer. Individuell und kollektiv, verbunden mit uralten Gefühlen und Erinnerungen. Wir sind, letztendlich, ein Mikroteil einer Makrogestalt. Man sagt, wenn man Sprache eines Menschen versteht, kann man auch die Seele eines Volkes besser spüren. Deswegen, je nachdem wie sich eine Sprache anhört, nimmt man auch oft den Charakter eines ganzen Volkes wahr. Ich glaube stark daran, dass diese Erkenntnis der Qualität von interkultureller Kommunikation gewaltig beitragen könnte.

Menschliche Erfahrung beweist, dass gleiche Sprache zu sprechen nicht automatisch sich gegenseitig besser zu verstehen bedeutet. Worte tragen ihre Bedeutung, aber ihr Ton macht die Musik. Nicht nur das, was wir sagen, sondern auch das, wie wir es sagen, oder auch nicht sagen, macht die Qualität der Kommunikation aus.

In der heutigen digitalen Welt mit Dominanz der englischen Sprache gibt es das Argument, dass es nicht mehr notwendig ist, Fremdsprachen zu lernen. Viele sagen, dass man nicht mehr von Übersetzern wie in vorherigen Jahrhunderten abhängt, da es künstliche Intelligenz gibt, die die Menschen beim Übersetzen ersetzen kann. Tatsächlich, aber nur teilweise, weil es da einen kleinen Hacken gibt.

Als Tourist oder für alltägliche Zwecke kann jeder von uns einige Worte lernen, vielleicht auch etwas mehr, je nachdem wieviel Talent, Zeit und Wille man hat. Sprachen können, selbstverständlich auch ein schönes und kreatives Hobby sein, besonders motivierend, wenn man sich verliebt. Wer eine schnelle Übersetzungslösung braucht, kann sogar mit Hilfe von speziellen Softwares noch etwas mehr verstehen bzw. übersetzt bekommen, was in bestimmten Situationen ganz praktisch sein kann. Wir alle wissen, dass sich die Technologie ständig entwickelt und dass es realistisch zu erwarten ist, dass eines Tages dieser schöne Beruf, wie viele anderen, nicht mehr gebraucht wird.

Wir sind aber noch nicht soweit. Warum? Weil es noch kein Computer-Programm gibt, das ganz feine Nuancen einer Sprache in eine andere eins zu eins so gut übersetzen kann, wie ein Mensch das meistert. Technische Hürden einer Übersetzung, wie Orthografie, Grammatik oder Syntax kann man mit heutigen Entwicklungsniveau der künstlichen Intelligenz ziemlich gut überwinden. Was aber eine Sprache lebendig, fließend und einzigartig macht ist das, was ich Geist und Seele der Sprache nenne, und was von menschlichem Geist und Seele unzertrennlich sind.

Schließlich, wir lernen Sprachen nicht nur um kurze Wege zu schnellen Übersetzungslösungen zu finden, sondern sehr wohl, weil wir Sprachen und Menschen, die sie sprechen, Länder, wo sie existieren, oder Literatur, die sie schreiben, lieben und zu ihrer Essenz kommen möchten.

Sprache als Code-System ist nur ein Werkzeug. Sprache als Botschaft des Herzens ist eine echte Alchemie.